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Immobilienfinanzierung in und nach der Krise

2020 wird das Jahr sein, in dem viele von uns mehr und schneller gelernt haben als in vielen Jahrzehnten davor. Vielfach war zu lesen und wurde diskutiert: Corona wirkt wie Brandbeschleuniger auf viele Prozesse, die in der rekordverdächtig langen Boomphase unbemerkt schwelten. Für die gewerbliche Immobilienfinanzierung gilt das erst recht: Die Pandemie verstärkt die Einflussfaktoren, die bisher durch den anhaltenden Immobilienboom und die langjährige Niedrigzinsphase nur sehr abgemildert wirksam wurden. Innerstädtische Hotels, stationärer Einzelhandel mit Non-Food-Sortiment und auch Büroimmobilien stehen durch die Pandemie von einem Tag auf dem anderen unter Stress: Pachtzahlungen werden ausgesetzt, Umsätze brechen weg, die plötzlich entdeckten Vorteile des Homeoffice verändern die Nutzung von und verringern die Nachfrage nach Büroflächen. Deshalb warnt die Ratingagentur Moody‘s die Finanzierer dieser Betreiber vor steigenden Kreditrisiken. Es gibt wie in jeder Krise aber auch Gewinner: Wohnimmobilien sind bislang völlig unbeeindruckt durch die Pandemie, im Gegenteil: Der Trend zum Homeoffice erhöht den Flächenbedarf und reduziert den Einfluss der Länge des Arbeitsweges auf die Entscheidung für oder gegen einen Wohnort. Logistik-Objekte erhalten weiteren Auftrieb durch den drastischen Anstieg des Online-Handels. Die Unklarheit über die weitere Entwicklung der Covid19-Pandemie bringt viel Unsicherheit in den Markt. Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Struktur des Finanzierungsmarktes? In Deutschland vereinen Geschäftsbanken traditionell einen großen Teil der Immobilienfinanzierung auf sich, weitere Finanzierungsgeber sind je nach Ticketgröße und Projektkomplexität professionelle Investoren wie z.B. internationale Fonds, Versicherungen, Pensionskassen, Family Offices, aber auch Privatanleger. Bisher deckten Banken und Versicherungen im Wesentlichen die Seniorfinanzierung ab, die anderen Finanzierungsgeber bieten Mezzanine und Nachrangkapital. Doch das ändert sich: Die europäische Bankenaufsicht verschärft die Anforderungen an die Eigenkapitalunterlegung von Projektfinanzierungen und die Pandemie setzt Kreditgeber unter Druck, warnt Raimund Röseler, Exekutivdirektor der BaFin, in der FAZ. Dadurch steigen die Kosten einer Finanzierung. Zusätzlich begrenzt die geringe Profitabilität vieler Banken im anhaltenden Niedrigzinsumfeld die Schaffung neuen Eigenkapitals durch Gewinnthesaurierung. Das vorhandene Eigenkapital wird durch die im Zuge des wirtschaftlichen Abschwungs zu beobachtende Ratingmigration und erwartete Steigerung der Kreditausfälle im Unternehmenskundengeschäft zusätzlich beansprucht. Neben steigenden Kosten schränkt dies den Kreditvergabespielraum von Banken ein.

Hinzu tritt schon seit einiger Zeit die Entkopplung von Marktwerten und Beleihungswerten. Die Beleihungswertrichtlinien stammen aus Zeiten mit einem deutlich höheren Marktzinsniveau und wurden auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld nicht angepasst. Dies führt dazu, dass Banken zu Loan-to-Values (LTV) bzw. Loan-to-Cost (LTC) von eher 65 bis 70 % statt 75 bis 90% vor der Krise finanzieren. Der Anteil einer Seniorfinanzierung an der erforderlichen Gesamtfinanzierung fällt damit deutlich geringer aus. Daraus resultiert eine Finanzierungslücke, die durch alternative Finanzierungsformen wie Mezzanine, Junior Loans oder Whole Loans gefüllt werden kann. Denn institutionelle Investoren haben sowohl Liquidität als auch Investitionsbedarf. Sie suchen Zugang zu geeigneten Projekten und müssen die Finanzierungsanfragen und Risiken effizient analysieren und managen. Mehr Finanzierungsgeber im Markt beleben den Wettbewerb, schaffen aber zunächst Intransparenz und unter Umständen Unsicherheit. Plattformen oder digitale Marktplätze können geeignete Intermediäre sein, um die erforderliche Transparenz im Markt herzustellen, die passenden      Finanzierungspartner zueinander zu bringen und Transaktionen effizient, sicher und nutzerfreundlich abzuwickeln.

Ist die traditionelle Projektfinanzierung in dieser Situation noch zeitgemäß?

Die Finanzierung eines Projektes dauerte bisher von der Identifizierung und Ansprache möglicher Finanzierer über die Formulierung der Finanzierungsanfrage, die Bereitstellung und Prüfung der notwendigen Dokumente, die Kreditentscheidung und Konditionenverhandlung bis hin zur Auszahlung der Darlehenssumme etwa drei bis vier Monate. Dieser zeitraubende Prozess auf Basis des physischen Transports von Unterlagen kam durch das abrupte Herunterfahren des öffentlichen Lebens im Frühjahr zum Erliegen, auch konservative Marktteilnehmer mussten in Windeseile auf Home Office umstellen – digitale Lösungen wurden plötzlich vom luxuriösen Marketinginstrument zur Überlebensnotwendigkeit.      Immobilien-Projektfinanzierung muss flexibler, digitaler und agiler werden, um den Herausforderungen adäquat begegnen zu können. Die dringend benötigte „Flucht in die Qualität“ betrifft nicht nur die Assets, sondern auch die Prozesse.

Zahlreiche FinTechs haben in den letzten Jahren Software und Online-Plattformen mit dem Ziel entwickelt, Abläufe ganz ohne direkten physischen Kontakt zu vereinfachen und beschleunigen. Bisher gehörte die Bank- und Immobilienbranche zu den Late Adoptern der Digitalisierung – die Corona-Pandemie könnte der entscheidende Auslöser für die längst fällige Aufholjagd sein. Geldgeber auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten       gibt es mehr als genug – zeitgemäße Matching-Prozesse, innovative Projektsteuerung und etwas unternehmerischer Mut sind gefragt, um Kapitalangebot und -nachfrage zur Deckung zu bringen.